Abstandsflächen: Definition, Berechnung und Sonderfälle im Überblick
Abstandsflächen sind ein zentrales Thema im Bauwesen, das oft in seiner Wichtigkeit unterschätzt wird. Ob bei Neubauten, Erweiterungen oder Umbauten – die richtigen Abstände zu den Nachbargrundstücken sind entscheidend und können rechtliche Konflikte vermeiden. Besonders wichtig ist das Wissen über Abstandsflächen für Bauherren, Architekten sowie private Grundstücks- und Immobilienbesitzer, die planen, ein Gebäude zu errichten oder zu erweitern. Denn was viele nicht bedenken: Die Einhaltung der Abstandsflächen sichert nicht nur die baurechtliche Zulässigkeit, sondern auch ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis. In diesem Beitrag erfahren Sie, was genau Abstandsflächen sind, wie Sie diese individuell für Ihr Grundstück berechnen können und welche Ausnahmen es gibt. Außerdem geben wir Ihnen viele nützliche Tipps an die Hand – darunter auch Handlungsempfehlungen, wenn Ihr Nachbar die Abstandsflächen missachtet und Ihnen dadurch schadet.
Was sind Abstandsflächen?
Abstandsflächen sind gesetzlich festgelegte Mindestabstände, die Gebäude zu den Grundstücksgrenzen oder benachbarten Bauten einhalten müssen. Diese Flächen dienen dem Schutz der Belichtung, Belüftung und Privatsphäre der angrenzenden Gebäude sowie der Sicherheit und dem Brandschutz. Die Abstandsflächen werden je nach Bundesland und baulichen Vorschriften unterschiedlich berechnet und hängen von der Höhe und der Art des Gebäudes ab. Die Einhaltung der Abstandsflächen ist in der jeweils geltenden Landesbauordnung (LBO) festgelegt und damit für alle Grundstücksbesitzer Pflicht.
Sind Abstandsflächen auf dem eigenen Grundstück Pflicht?
Abstandsflächen sind auch auf dem eigenen Grundstück Pflicht. Nach den deutschen Landesbauordnungen (LBO) müssen Gebäude bestimmte Abstände zu den Grundstücksgrenzen einhalten, um ausreichend Licht, Luft und Sichtschutz für die umliegenden Bauwerke zu gewährleisten. Diese Vorschrift dient sowohl dem Brandschutz als auch der Sicherstellung einer angemessenen Wohnqualität. Die Regelungen bezüglich der Abstandsflächen können von den einzelnen Bundesländern festgelegt werden und variieren daher in einigen Punkten. Sie alle orientieren sich an der Höhe und Nutzung des Gebäudes, legen aber verschiedene Mindestwerte zugrunde. Verstöße gegen die Abstandsflächen können zu rechtlichen Konsequenzen wie Bußgeldern, Baustopp oder sogar dem Rückbau des Gebäudes führen. Eine Nichtbeachtung der Abstandsflächen kann zudem Nachbarschaftskonflikte und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen.
Abstandsflächen je Bundesland: Dieser Abstand muss sein
Bundesland | Regelung | Faktor zur Errechnung der Abstandsfläche | Faktor für Dach- und Giebelflächen | Mindestabstand laut Bauordnung |
---|---|---|---|---|
Baden-Württemberg | LBO § 5 | 0,4 in Kerngebieten: 0,2 | > 70°: 1 > 45°: 1/3 | 2,5 m bei Außenwänden unter 5 m Länge reichen 2 m |
Bayern | BayBO § 6 | 1 in Kerngebieten: 0,5 | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m |
Berlin | BauO Bln § 6 | 0,4 | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m |
Brandenburg | BbgBO § 6 | 0,4 je nach Gebäudeart weniger möglich | keine Angaben Dach wird mit Faktor 1 gerechnet | 3 m |
Bremen | BremLBO § 6 | 0,4 je nach Gebäudeart weniger möglich | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m je nach Gebiet 2,5 m möglich |
Hamburg | HBauO § 6 | 0,4 | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 2,5 m |
Hessen | HBO § 6 | 0,4 in Sondergebieten 0,2 möglich | > 70°: 1 > 45°: 1/3 | 3 m |
Mecklenburg-Vorpommern | LBau M-V § 6 | 0,4 | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m |
Niedersachsen | NBauO § 5 | 0,5 in Sondergebieten 0,25 möglich | keine Angaben Dach wird mit Faktor 1 gerechnet | 3 m |
Nordrhein-Westfalen | BauO NRW § 6 | 0,8 in Kerngebieten 0,25 bis 0,5 möglich | > 70°: 1 > 45°: 1/3 Giebel < 70°: 1/3 | 3 m |
Rheinland-Pfalz | LBauO § 8 | 0,4 in Kerngebieten weniger möglich | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m |
Saarland | LBO § 7 | 0,4 in Kerngebieten weniger möglich | > 70°: 1 > 45°: 1/3 | 3 m |
Sachsen | SächsBO § 6 | 0,4 | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m |
Sachsen-Anhalt | BauO LSA § 6 | 0,4 je nach Gebäudeart weniger möglich | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m |
Schleswig-Holstein | LBO § 6 | 0,4 je nach Gebäudeart weniger möglich | > 70°: 1 > 45°: 0,25 Giebel: 0,5 | 3 m |
Thüringen | ThürBO § 6 | 0,4 in Sondergebieten 0,2 möglich | > 70°: 1 < 70°: 1/3 | 3 m |
Abstandsflächenberechnung: So kalkulieren Sie Ihre Abstandsfläche
Sie möchten Ihre Abstandsfläche berechnen? Kein Problem, denn für die Abstandsflächenberechnung gibt es eine einfache Formel, die Sie mit nur wenigen Werten selbst anwenden können. Um die Abstandsfläche zu berechnen, benötigen Sie die folgenden Werte:
- Faktor der geltenden Bauordnung (F)
- Gebäudehöhe bis zum Dach (H)
- Dachhöhe (DH)
- Dachfaktor der geltenden Bauordnung je nach Dachneigung (DF)
Abstandsfläche = F x (H + DH x DF)
Beispiel: Abstandsfläche berechnen
Die Berechnung der Abstandsfläche kann an einem einfachen Beispiel erklärt werden. Ein Haus steht in Nordrhein-Westfalen, was einen Faktor (F) von 0,8 bedeutet. Bis zum Dach (H) ist das Haus 5,6 m hoch. Das Dach selbst (DH) hat eine Höhe von 2,4 m und eine Neigung von weniger als 70°. Diese Neigung bedeutet in Nordrhein-Westfalen einen Dachfaktor (DF) von ⅓. Nun wird die Abstandsfläche wie folgt berechnet:
Die Abstandsfläche vom Haus bis zur Grundstücksgrenze liegt gemäß dieser Rechnung also bei 5,12 m. Der in Nordrhein-Westfalen geltende Mindestabstand von 3 m (laut Bauordnung) ist damit erfüllt, sodass die tatsächliche Abstandsfläche ebenfalls bei 5,12 m liegt.
Hat eine Dachfläche einen Neigungswinkel von mehr als 70 Grad, wird das Dach vollständig zur Gebäudehöhe hinzugerechnet. Diese Regelung gilt in allen Bundesländern und kann somit immer verwendet werden.
Wann darf an der Grundstücksgrenze gebaut werden?
In der Regel müssen Gebäude gemäß den Landesbauordnungen einen bestimmten Abstand zur Grundstücksgrenze einhalten, doch es gibt auch Ausnahmen. Da die Abstandsflächenregelungen ebenso wie ihre Ausnahmen in den jeweiligen Landesbauordnungen festgelegt sind, können sie je nach Bundesland variieren. Vor der Bauplanung sollte also immer eine Abstimmung mit der zuständigen Baubehörde erfolgen, um sicherzustellen, dass das Vorhaben den geltenden Vorschriften entspricht. Im Allgemeinen gelten die folgenden Ausnahmen, um an der Grundstücksgrenze bauen zu dürfen:
- Kleine Bauten als Sonderfälle: In vielen Bundesländern ist es erlaubt, kleine Bauten wie Garagen, Carports und Nebengebäude, aber auch Balkone und Terrassen direkt oder näher an die Grundstücksgrenze zu bauen, wenn sie bestimmte Maße nicht überschreiten. Auch Anlagen wie Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen können unter diese Regelung fallen.
- Gemeinsame Bebauung: Wenn beide Nachbarn zustimmen, können sie gemeinsam an der Grenze bauen, z. B. bei Reihenhäusern oder Doppelhäusern. Die Zustimmung zur Grenzbebauung sollte schriftlich erfolgen und im Grundbuch eingetragen werden, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
- Abstandsflächenbaulast: Bei der sogenannten Abstandsflächenbaulast verzichtet der Eigentümer eines Nachbargrundstücks auf die Einhaltung der Abstandsflächen. Dies ermöglicht es dem Bauherrn, näher an die Grundstücksgrenze heranzurücken oder sogar direkt auf der Grenze zu bauen. Die Abstandsflächenbaulast muss im Grundbuch eingetragen werden und ist in der Regel unwiderruflich. Die Lösung einer Baulast ist vor allem in dicht besiedelten Gebieten nützlich, in denen der Platz begrenzt ist.
Sonderfälle von Abstandsflächen
Die Einhaltung der Abstandsflächen ist Pflicht. Es gibt jedoch Sonderfälle, in denen Abstandsflächen auf Grundstücken nicht oder nur teilweise eingehalten werden müssen. Diese Ausnahmen sind in den Landesbauordnungen geregelt und sollen Bauherren ermöglichen, moderne Technologien und komfortable Wohnlösungen zu integrieren, ohne gegen Abstandsflächenregelungen zu verstoßen. Dennoch sollten individuelle Bauvorhaben immer mit der zuständigen Baubehörde abgestimmt werden, um die Rechtskonformität sicherzustellen.
Abstandsfläche bei Balkonen und Terrassen
In vielen Bundesländern dürfen Balkone und Terrassen in die Abstandsflächen hineinragen, sofern sie eine bestimmte Tiefe nicht überschreiten, meist zwischen 1,50 und 2,00 Meter. Diese Regelung ermöglicht es, Balkone und Terrassen an Häusern zu bauen, ohne dass dafür größere Abstände zur Grundstücksgrenze erforderlich sind.
Abstandsfläche bei Garagen und Carports
In einigen Bundesländern gelten für Gebäude oder Gebäudeteile, die unter einer bestimmten Höhe bleiben, verringerte Abstandsflächen. Diese Regelung betrifft oft Garagen, Carports oder kleinere Nebengebäude. Häufig wird hierfür eine maximale Länge von 9 Metern und eine maximale Höhe von 3 Metern genannt.
Abstandsfläche bei Photovoltaikanlagen
Auf Dächern installierte Photovoltaikanlagen gelten in der Regel als Teil des Gebäudes und beeinflussen die Abstandsflächen nicht. Auch bei freistehenden Anlagen gibt es oft Erleichterungen, insbesondere wenn sie in einer geringen Höhe installiert werden.
Abstandsfläche bei Wärmepumpen
Wärmepumpen können unter bestimmten Voraussetzungen innerhalb der Abstandsflächen installiert werden. Entscheidend ist hier häufig die Geräuschentwicklung. Werden bestimmte Lärmschutzwerte eingehalten, ist die Aufstellung näher an der Grundstücksgrenze zulässig.
Der Nachbar hält die Abstandsfläche nicht ein – was tun?
Wenn der Nachbar die Abstandsfläche nicht einhält, gibt es mehrere Schritte, die Sie unternehmen können, um Abhilfe zu schaffen. Der erste Schritt sollte ein freundliches Gespräch mit dem Nachbarn sein. Oft ist dem Nachbarn gar nicht bewusst, dass er gegen die Abstandsflächenvorschriften verstößt. Ein klärendes Gespräch kann helfen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Wenn das Gespräch nicht erfolgreich ist oder der Nachbar sich weigert, den Verstoß zu beheben, können Sie die zuständige Baubehörde informieren. Diese prüft, ob der Bau die gesetzlichen Vorgaben einhält und kann gegebenenfalls eine Rückbauverpflichtung anordnen.
Sollte die Baubehörde nicht tätig werden oder Sie weiterhin betroffen sein, besteht die Möglichkeit, rechtliche Schritte einzuleiten. Ein Anwalt für Baurecht kann Sie dabei unterstützen, eine Unterlassungsklage einzureichen oder Schadensersatz zu verlangen. Alternativ können Sie auch versuchen, eine gütliche Einigung zu erzielen, indem Sie z. B. eine Abstandsflächenbaulast vereinbaren. Diese muss allerdings notariell beglaubigt und im Grundbuch eingetragen werden.